Der Richterstuhl in den Stahlbergen
Eine Räuber-Sage, ein Flurname und der historische Hintergrund
Die Bietnitz-Rinne, ein glaziales Gletschertor östlich des Schweriner Sees bei dem Dorf Pinnow, entstand vor 15000 Jahren während des Pommerschen Eisvorstoßes. Sie bildete an ihrem östlichen Rand ein beachtlich ansteigendes Hochufer. Diese Hochfläche, heute vom Gädebehner Forst bedeckt, trägt den Flurnamen „Stahlberg“, “Staalberge“. Besonders in Schmettaus Mecklenburg-Karte von 1788 wird dieser Höhenzug so genannt. Er erstreckt sich von Gädebehn in südlicher Richtung bis er etwa auf der Höhe von Zietlitz völlig abflacht.
Von dieser Gegend verbreitet Karl Bartsch in dem 1879 erschienen Buch „Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg“ eine hochinteressante Kunde: „In den Stahlbergen bei Crivitz“, so heißt es dort, „hauste einst ein berüchtigter und gefährlicher Räuber Namens Röpke….“. Tatsächlich waren die Wälder und die durch sie verlaufenden Frachtwege in dieser Region über Jahrhunderte hinweg unsichere Orte. Der letzte Raubmord an einem Frachtfuhrmann ereignete sich „am Staalberge auf der Schwerin-Crivitzer-Chaussee im Februar 1888“. Diese Chaussee, die heutige B 321, war in der ersten Hälfte der 1840er Jahre als sogenannte Kunststraße angelegt worden.
Davor war die Schwerin-Crivitzer-Landstraße (heute noch als „Alte Crivitzer Landstraße“ durch den Schweriner Vorort Mueß führend) ein bedeutender West-Ost-Frachtweg, der nahezu den gesamten Frachtverkehr zwischen Schwerin / Rostock / Güstrow / Vorpommern aufnahm. Der Weg lief von Schwerin, zur Mueßer-Fähre, dann über Pinnow / Petersberg und traf am nordöstlichen Dorfende auf einen aus Wismar kommenden Handelsweg, der hier von der Alten Crivitzer Landstraße aufgenommen wurde und weiter über die Staalberge, nach Crivitz und ins brandenburgische Land führte.
Dieser Ballung von Frachtwegen konnten die Räuber der damaligen Zeit wohl nicht widerstehen.
Das alles erzählt uns aber einzig und allein die Sage vom Räuber Röpke, was wiederum die Frage nach dem Realitätsbezug von Sagen und deren historischen Verlässlichkeit nach sich zieht.
Da andere historische Quellen zu den offensichtlichen Straßenräuberreien in den Stahlbergen absolut schweigen, könnte eventuell die etymologische Erforschung des metallurgischen Flurnamens „Stahlberg“ helfen, uns zu dem historischen Sagen-Hintergrund zu führen.
Der aber bereitet uns gleich eingangs Schwierigkeiten – er taucht gleich dreimal in unterschiedlichen Schreibweisen auf: Der westliche Teil des Höhenzuges trägt den Flurnamen „auf dem Staalberg“, der östliche Teil nennt sich „der vorderste Stahlberg“ und der mittige Teil heißt „auf dem Thal-Berg“.
Allen drei Schreibweisen ist eigen: dass sie erstens mit einem offenen und langen „a“ gesprochen werden: einmal mit dem Doppelkonsonaten-a und bei Stahlberg mit dem Dehnungs-h
Und zweitens sind alle drei Worte, sowohl vom Grundwort „Berg“ als auch das Bestimmungswort „Stahl“, von der Lautung und Schreibweise her hochdeutsch gesprochene und geschriebene Worte.
Vorweg aber sollten wir uns fragen, wie kommen diese Flurnamen 1788 überhaupt in die Mecklenburg-Karte des preußischen Obristen und Kartographen F.W.C. Graf von Schmettau?
Kurzum: der Preuße hatte den Auftrag des regierenden Herzogs, dessen „Herzogthum Mecklenburg-Schwerin und das Fürstentum Ratzeburg“, flächendeckend für den topografischen, ökonomischen und militärischen Gebrauch zu vermessen. Zu bemerken ist, dass für Mecklenburg erst 1854 die erste „Ordnung und Instruction für die Feldmesser“ erlassen und erst 1865 das „Cammer-Messungsbureau“ in Schwerin eröffnet wurde.
Mit den genannten Vermessungsarbeiten waren wohl um 1785/86 Landmesser des Grafen Schmettau auf dem eingangs beschriebenen Höhenzug befasst. Diese landesfremden Landmesser, zumeist pensionierte oder verabschiedete preußische Offiziere und deren zumeist ebenso landesfremden Messgehilfen, waren zudem strengstens angehalten, einheimische und ortskundige Leute nach den Flurnamen der jeweiligen Flurstücke zu befragen und die ihnen genannten Flurnamen in das Feld- bzw. Protokollbuch einzutragen, von wo diese Flurnamen dann den Weg auch in die Kataster fanden.
Der Haken an der Sache: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebte die deutsche Sprache und lebten auch die Flurnamen nur in der Mundart des jeweiligen Ortes / Dorfes und dort auch nur im Kontext mit ihrem historischen Entstehungshintergrund.
Dabei ist zu beachten, dass eine einheitliche Regelung (Kodifizierung) der Aussprache deutscher Wörter erst ab 1898 (!) mit der Herausgabe des „Wörterbuch der Deutschen Bühnensprache“ des Autors Theodor Siebs ins Laufen kam!! Diese deutsche Bühnensprache setzte sich letztlich als allseits anerkanntes gesprochenes „reines Hochdeutsch“ durch.
Die zumeist landesfremden preußischen Landmesser, die in der Regel den Dialekt, die Mundart der Einheimischen nicht verstanden, hatten zudem das Bestreben, die niederdeutschen Worte nach dem Gehör, also nach der verstandenen Lautung ins „Deutsche“ zu übersetzen, so wie sie „deutsch“ damals verstanden. Diese „Verhochdeutschung“ der nur akustisch/phonetisch erfassten mundartlichen oder dialektalen Wörtern ist das Grauen aller Flurnamensforscher in Deutschland – aber das nur nebenbei.
Zurück zu unserem Stahlberg, bei dessen Flurnamen wir es nun nachweislich mit einer solchen Verhochdeutschung zu tun haben.
Was wir folglich als Erstes zu verwerfen haben, ist das Wort „Stahl“ im metallurgischen Sinn, d.h. in der Bedeutung von gehärtetem Eisen. Im 18. und noch in der ersten Hälfte es 19. Jahrhundert ist das Wort Stahl als gehärtetes Eisen aber gar nicht Gegenstand der gesprochenen niederdeutschen Mundarten – im Alltag der Sprecher und auch in entsprechenden zeitgenössischen Wörterbüchern existierte dieses Wort nicht.
Sowohl der städtische als auch der ländliche Plattsnacker kannte nur das Eisen = „Isen“ - der Isenploog (Pflug) etwa, oder dat isen Seisbladd (Sensenblatt), obwohl das zumeist aus Schmiedestahl bestand und selbst Walzstahl wurde Wolterisen genannt.
Im Mittelniederdeutschen jedoch finden wir das Wort „stàl“oder „staal“ in der Bedeutung von Steh-, Sitz- und Wohnort, erhalten etwa noch im Wort „Stall“, Staal ist aber auch das Bestimmungswort bei „staaleike/stallèke“. Das Kompositum bezeichnet hier die Gerichts-Eiche. Wir erinnern uns zumindest noch an die germanische Gerichtsverhandlung, dem „Thing-Gericht“, das unter freiem Himmel unter der Gerichtseiche oder der Gerichtslinde stattfand. Wir befinden uns mit dem Bestimmungswort „staal“ im Kompositum „staaleike“ folglich an einem Rechtsort, wo Gericht (Thing) gehalten wurde und stellen fest: nahezu alle niederdeutschen Komposita mit dem Wortbestandteil „staal“ sind Worte der niederdeutschen Rechtsgeschichte – besser noch: der ndt. Rechtsort-Geschichte!
Hier nun müssen wir aufmerken!
Sollte unser „stahlberg/staalberg“ ein Rechtsort gewesen, sollte auf ihm etwa Gericht gehalten worden sein. Wenn ja, worüber wurde hier Gericht gehalten?
Trotz der Einführung neuer Polizeiordnungen in den Jahren 1516 und 1572 herrschten in Mecklenburg noch bis in das 18. Jahrhundert hinein vielfältige und wenig einheitliche Formen altdeutscher Gerichtsverfahren, die bis in die Neuzeit stets öffentliche Verfahren waren. Hierzu zählt etwa das Hege-Gericht, worunter eine mehr oder minder feierliche Rechtsprechung zu verstehen ist, die in einer eingefriedeten, also „gehegten“ öffentlichen Stätte stattfand. Dieses öffentliche Gericht trat nach altem Rechtsbrauch unter freiem Himmel allemal aber während der „hohen Tageszeit dort zusammen, wo der Mord geschehen, der Körper des Toten gefunden und dort an Ort und Stelle aufgebahrt noch zu sehen war“. Besonders geschah dies bei dem mit Mord und Totschlag verbundenen Straßenraub, weil dieser den doppelten Tatbestand des tödlich verlaufenden Straßenraubs mit dem des Friedensbruchs erfüllte.
Harte Urteile, wie die Todesstrafe, waren dabei üblich. Solche öffentlichen Verfahren zählten dann zu den tief eingeprägten kollektiven Erfahrungen der lokalen Bevölkerung, die auch und besonders Orte mit solch dramatischen Geschehnissen mit Flurnamen belegten.
Im Mittelpunkt des Hege-Gerichts und des gerichtlichen Verfahrens überhaupt stand letztlich dann auch der Verkünder des Urteils: der Richter!
Der Richter aber war einzig und allein die Person, die im Hege-Gericht sitzen durfte - auf seinem, nur im zustehenden Sitz: dem Richterstuhl! Alle anderen am Verfahren beteiligten Personen, einschließlich die der Öffentlichkeit mussten stehen! Diese Sitzgelegenheit für eine hervorgehobene Person als Stuhl zu bezeichnen, dürfte der damaligen Dorfbevölkerung nicht fremd gewesen sein, kannten sie doch sicher noch den Königsstuhl und den Bischofsstuhl als Sitzgelegenheiten herausragender Persönlichkeiten…!
Nun können wir mit Gewissheit aufschreiben, was der Pinnower Platt snackender Bauer dem Landvermesser damals auf seine Frage nach der Bezeichnung des Flurstücks geantwortet hat: „Stoalbarg“ oder „Stohlbarg“ wird er geantwortet haben - aber keineswegs Stahlberg.
Ich habe vier meiner Platt snackenden Freunde gebeten, sie mögen mir doch bitte jeweils einen vollständigen plattdeutschen Satz mit „Stuhl“ aufsagen. Ausnahmslos alle vier sprachen den Plattdeutschen „Stohl/Stool oder Stoal“ mit langem offenen O – kein einziges Mal war ein U zu hören, dafür aber ein lautlich deutlich zum A tendierendes O. Und so wurde wohl bei unserem preußischen Landmesser der richtige Stuhlberg (Stoalbarg) zum akustisch analog klingenden aber falschen und verwirrenden Stahlberg – und so steht er noch heute in unseren Messtischblättern – und nicht nur dort.
In der mündlichen Tradierung des Flurnamens Stoalbarg/ Stohlbarg über mehr als ein Jahrhundert hinweg verlor sich die historische Transparenz des Begriffs zumal sich die sprachliche Form gewandelt hat und vom metallurgischen Begriff Stahl überlagert wurde.
Damals aber kannte jedermann in den umliegenden Dörfern die dem Flurnamen „Stuhlberg“ zugrunde liegenden Geschehnisse. heutzutage dagegen kann hier niemand mehr etwas mit Stahlberg“ anfangen.
Das Ergebnis der sprachlichen Analyse des Flurnamens in seiner niederdeutschen Form wies uns jedoch den Weg zur Erhellung des historischen Hintergrundes der Räuber-Röpke-Sage und eröffnete dem Chronisten eine völlig neue inhaltliche Erzählweise über ein einst ganz reales historisches Ereignis. Somit aber haben sowohl die Röpke-Sage als auch der Flurnamen ihre historische Verlässlichkeit nachgewiesen.
Einen Räuber Röpke, so wissen wir nun auch, wird es als Individuum nicht gegeben haben. Er ist die Personifizierung des, wenn man so will, kollektiven Straßenraubunwesens in den zwischen Schwerin und Crivitz gelegenen Stahlbergen.
Herbert Remmel
Literatur:
Christmann, Ernst: Die Flurnamenskartei als wissenschaftliches Forschungsinstrument, 1927
Gosselck, Johannes und Neumann, Walter: Unsere Mecklenburgischen Flurnamen. in: Beiträge zur Heimatkunde, Nummer 10, 1939
Goossens, Jan: Niederdeutsches Wort, 1993
Greve, Dieter: Flurnamen in Mecklenburg – von A bis Z, 2016
derselbe: Ruthen, Hufen und Erben: Vermessung und Kataster in Mecklenburg, 1998
Herrmann-Winter, Renate: Neues hochdeutsch-plattdeutsches Wörterbuch, 2013
Ramge, Hans: Tradition und Erinnerung in Adelsgesellschaften und bäuerlichen Gesellschaft – dort: Flurnamen als Spiegel bäuerlicher Erinnerungen / Rechtsorte, 2003
Schiller / Lübben: Mittelniederdeutsches Wörterbuch, 1875-1881
Der Wilde Franzose – Die Napoleonische Besatzungszeit in Mecklenburg
Es ist schon viel über die sogenannte Franzosenzeit unter Napoleon hier in Mecklenburg, aber auch in Deutschland und Europa geschrieben worden. Für Mecklenburg ist das wohl bekannteste Beispiel in der Literatur die Erzählung Fritz Reuters: „Ut de Franzosentid“, erschienen 1859 in plattdeutscher Sprache. Hierbei geht es kurz wiedergegeben um die Umstände in der mecklenburgischen Stadt Stavenhagen nach dem Rückzug der französischen Truppen aus Russland im Jahr 1813. Die Angst der einfachen Leute vor den marodierenden und plündernden Franzosen, aber auch der Mut und die Listigkeit wird dargestellt, wie sie mit Gegebenheiten umgehen und wie die Sache für die betroffenen Menschen glücklich ausgeht.
In dem Gebiet um den Schweriner See herum gibt es eine Sage, die von einem französischen Offizier während der Besatzungszeit in den napoleonischen Kriegen am Anfang des 19. Jahrhunderts handelt. Diese Sage soll der Ausgangspunkt weiterer Ausführungen über diese Epoche europäischer Geschichte besonders in Mecklenburg sein. Sie sollen ein wenig die Hintergründe dieser Legende aufhellen und erläutern.
Der Sagenstein steht am Weg nach Hohen Viecheln, kurz vor den letzten Häusern von Neu-Flessenow (Hühnerfarm). Er ist Bestandteil des Rad- und Wanderweges „Niklot-Pfad“, der vom Kulturverein Sagenland Mecklenburg-Vorpommern e.V. mit Unterstützung und Hilfe der anliegenden Gemeinden und vieler Sponsoren erstellt wurde.
Die Sage vom Wilden Franzosen als Schimmelreiter
Vor etlichen Jahren bemerkte eine alte Frau, die sich auf dem Heimweg von Neu-Flessenow nach Viechel befand, dass ein Mann ohne Kopf auf einem Schimmel hinter ihr her war. Erst als sie das Dorf erreichte, verschwand er.
Er soll ein schrecklicher französischer Offizier aus der Napoleonzeit sein, der auf seinem Schimmel wild um die Döpe herumgeistert.
Die Aussage, dass es sich um einen Mann ohne Kopf auf einem Schimmel handelt, lässt darauf schließen, dass in dieser Sage ältere Erzählungen mit eingearbeitet wurden. Nicht weit entfernt steht der Stein mit der Sage vom königlichen Schimmelreiter. Der alte Slawenfürst Niklot soll hier ohne Kopf aus der Düwelskuhl auf seinem Schimmel emporsteigen, dreimal den Döpe-See umrunden und dann wieder in der Düwelskuhl verschwinden.
In den Dorfschänken, am heimischen Herd wurden eigene Erlebnisse oder vom Hörensagen bekannte Geschichten dramatisch ausgebaut, nicht selten mit Elementen aus früheren Erzählungen. Nichtsdestotrotz blieb aber der Kern des Erlebnisses oder der gehörten Geschichte erhalten. Hier sind also Erfahrungen, Vorkommnisse und Einschätzungen der Menschen aus dieser Zeit in den Geschichten verarbeitet. Dass die nicht sehr positiv waren, lässt sich aus der Wortwahl entnehmen. Ein „schrecklicher“ Franzose war „hinter der Frau her“, er „geisterte wild“ herum. Auch schien er nicht ganz unversehrt, denn er hatte ja keinen Kopf mehr und nur unglückliche Seelen „geistern“ umher. Doch dazu später mehr.
An dieser Stelle scheint es geboten, diese Sage in den historischen Kontext zu stellen und einen kurzen Abriss der Ereignisse in Mecklenburg zu geben. Dabei kann es nicht um absolute Vollständigkeit gehen. Das würde über den Rahmen und die Intention dieser Abhandlung hinausgehen.
Um die Ereignisse in Deutschland und speziell in Mecklenburg zu verstehen, ist es erforderlich, auf die Lage in Europa kurz einzugehen.
Aus den Wirren und Machtkämpfen der Französischen Revolution von 1789 ging Napoleon Bonaparte nach einem Staatsstreich 1799 als Sieger hervor. 1804 krönte er sich selbst zum Kaiser. Sein Ziel war es, Frankreich zu einer Hegemonialmacht in Europa zu machen. Das rief natürlich den Widerstand der alten Großmächte in Europa hervor. In verschiedenen Kriegen (Koalitionskriege) sorgte er für eine Vorherrschaft Frankreichs in Teilen Europas. Am Ende wurde aber auch Napoleons Fall besiegelt, und die Ära Frankreichs als Kaiserreich endete auf dem Wiener Kongress 1815.
Für die deutschen Länder begann die napoleonische Besatzungszeit nach der Niederlage Preußens in der Schlacht bei Jena und Auerstädt 1806. Viele deutsche Kleinstaaten wurden zwangsweise oder auch freiwillig im Rheinbund zusammengefasst, der Frankreich militärische Hilfe leisten sollte.
04.11.1806 Besetzung Schwerins durch französische Truppen
28.11.1806 Frankreich nimmt im Namen Napoleons Mecklenburg-Schwerin in Besitz
08.12.1806 Auswirkungen der Kontinentalsperre nach der Ausdehnung auf die okkupierten Teile Mecklenburgs: „Plage durch Unmassen von Bettlern und arbeitslosem Gesindel, welches Diebstahl und räuberische Anfälle die Straßen unsicher machte.“
15.12.1806 Alle Beamte des Landes müssen den Eid auf den französischen Kaiser ablegen
18.12.1806 Alle herzoglichen Kassen werden an die französische Oberverwaltung übergeben
19.12.1806 Alle mecklenburgischen Wappen werden abgenommen und durch französische ersetzt.
22.12.1806 Herzog Friedrich Franz I. erhält den Ausweisungsbefehl von Brigadegeneral Laval
08.01.1807 Friedrich Franz I. verlässt Schwerin und geht nach Altona auf dänisches Gebiet
Juli 1807 Brigadeg. Laval erhält Befehle zur Wiederherstellung Mecklenburg-Schwerins
11.07.1807 Friedrich Franz I. kehrt nach Schwerin zurück.
22.03.1808 Beitritt Mecklenburgs zum französisch dominierten Rheinbund
Im Jahr 1811 Verschiedene französische Regimenter befinden sich in Schwerin und müssen versorgt werden
Ab 1812 Der Russlandfeldzug Napoleons endet und geht mit Truppendurchmärschen größeren Ausmaßes einher
28.02.1813 Preußen und Russland stehen im Bündnis gegen Frankreich
März 1813 Die Franzosen ziehen sich aus Rostock, Stralsund, Wismar und Hamburg nach Westen zurück
14.03.1813 Friedrich Franz I. kündigt den Rheinbund-Vertrag
23.03.1813 Beendigung der Kontinentalsperre durch Friedrich Franz I.
03.09.1813 Einzug der gegen Frankreich verbündeten Truppen in Schwerin
01.11.1813 Napoleon geht bei Mainz zurück über den Rhein
11.01.1814 Dänemark muss sich vom Bündnis mit Frankreich lossagen und 10.000 Mann zum Kampf gegen Napoleon stellen
30.03.1814 Kapitulation von Paris und Einzug der Verbündeten am nächsten Tag
06.04.1814 Louis XVIII. wird als König von Frankreich eingesetzt
01.03.1815 Napoleon trifft nach Verlassen Elbas in Antibes ein und beginnt den Marsch auf Paris
27.05.1815 Wiener Kongress vergibt die Großherzogswürde an beide mecklenburgischen Herzogtümer ohne Gebietserweiterung
17.06.1815 Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin nimmt die Großherzogswürde an
18.06.1815 Die Schlacht bei Waterloo besiegelt das Schicksal Napoleons
Doch nun zurück zu unserer Sage mit dem kopflosen Franzosen und zu den Geschehnissen rund um die dort erwähnten Orte und Gegenden. Es ist ein Spezifikum von Sagen allgemein, dass sie in den Erzählungen und Wiedergaben genau verortet werden können, im Gegensatz zu Märchen, die -bis auf wenige Ausnahmen- irgendwo im imaginären Raum spielen.
Unser armer Franzose muss wohl selbst ein schreckliches Schicksal erlitten haben, denn seine Seele findet keine Ruhe und geistert an den Orten herum, an denen er gelebt und auch gestorben ist. Da er als Mann ohne Kopf beschrieben wird, hat er anscheinend schwerste Verletzungen oder Krankheiten gehabt, die zu seinem Tod führten. Wann aber könnte sich dieses Ereignis, von dem die Sage erzählt, abgespielt haben? 1806 verfolgten frische Rheintruppen und Teile der französischen Armee die flüchtenden Blücherschen Truppen und nahmen Quartier in Hohen Viecheln und auf der nahegelegenen Döpe. Es wird beschrieben, dass die Franzosen und ihre verbündeten Truppen ziemlich gewalttätig und übel gehaust haben, Plünderungen nahmen zu. Durch die ständigen Einquartierungen und Beköstigungen der fremden Truppen litten die einfachen Leute an Hunger und die Armut wurde stetig größer. Das alles führte dazu, dass man schon zu Beginn der Franzosenherrschaft den fremden Truppen alles Böse zutraute und -wie in der Sage geschildert- es in Hohen Viecheln einen französischen Offizier gab, der durch seine drakonischen Handlungen bekannt war und den Leuten Angst und Schrecken einjagte. Doch zu dieser Zeit gab es wohl noch keinen so übel zugerichteten und zerschundenen französischen Offizier wie in unserer Sage.
Das änderte sich aber im Jahr 1813. Nach der Niederlage Napoleons in Russland zogen die Franzosen wieder durch Mecklenburg und nahmen mit 50.000 Mann unter Marschall Davout Schwerin ein. Danach besetzten sie nochmals Wismar und das Ostufer des Schweriner Sees, bis zu den äußersten Punkten Rubow und Retgendorf. Es hatten sich aber schon Freiwilligenverbände aus Deutschland und auch in Mecklenburg zum Widerstand gegen die Franzosen gebildet. Auch in der Gegend um Hohen Viecheln fanden kleinere, aber nicht weniger grauenvolle Gefechte statt.
Im August 1813 schickte der französische General Loison immer wieder größere Patrouillen von Wismar aus in den Süden, um mit seinen Besatzungstruppen am Schweriner See die Lage zu erkunden und das Terrain sauber zu halten.
Am 28. August 1813 trafen französische Soldaten bei einer solchen Patrouille bei Jesendorf auf antifranzösische, hanseatische Ulanen unter Major von Arnim. Diese griffen den eigentlich überlegenen, jedoch überraschten Feind an und drängten ihn in Richtung Hohen Viecheln zurück, wo aber schwere Geschütze der Franzosen standen. Zu kühn folgten sie den Franzosen und gerieten so in deren schweres Geschützfeuer. Sechs Ulanen wurden getötet, viele verletzt. Auch die Franzosen hatte schwere Verluste zu beklagen.
Noch im September zogen die Franzosen aus der Gegend am Schweriner See ab. Die Menschen in ihren Einquartierungsorten mussten die Verpflegung für Mensch und Tier sowie andere Güter wie Tuche, Schuhe, Werkzeuge und Pferde stellen. Wurden die gewünschten Güter nicht geliefert, drohten harte Strafen. Der Übergang von legaler Requirierung zu Plünderungen und Raub war fließend. Nach den Franzosen quartierten sich Russen und andere Alliierte ein, die sich zum Teil schlimmer als die Franzosen benahmen, so z.B. in Belitz, zwischen Teterow und Laage gelegen, wo die Einquartierungen von Russen, Schweden und Preußen für die Bevölkerung mal mehr, mal weniger Leid mit sich brachte. Napoleon selbst erklärte einmal mit gewissem Wahrheitsgehalt: Mecklenburg ist gleichermaßen durch preußische und französische Armeen verwüstet. Eine große Anzahl von Truppen ist in Eilmärschen durch das Land gekreuzt. Sie haben ihren Unterhalt auf Kosten des Landes gefunden.
Diese Schilderungen deuten darauf hin, dass der zeitliche Ursprung der Sage in den Rückzugskämpfen der französischen Truppen im Jahr 1813 zu vermuten ist. Die schlimmen Übergriffe der französischen Besatzungstruppen begannen jedoch schon 1806, als die Franzosen in Mecklenburg einmarschierten und das Land besetzten.
Im Tagebuch der Frau Kanzleiadvokat Schnelle aus Schwerin heißt es: Am 4. November 1806 wurde Schwerin besetzt. Geplündert und mißhandelt wurde vor allem die Vorstadt, wo die armen Menschen wohnen.
Sie verbarrikadierten sich in ihren Häusern, verschlossen Fensterläden und Türen. Immerzu zogen Franzosen vorbei, klopften an die Türe und Fensterläden, zogen dann weiter. Dann kam es aber doch zu Einquartierungen. Sie selbst (die Bewohner) hatten kaum Raum und mussten aber den Einquartierten besser zu essen und zu trinken geben als sie selbst bekamen. Sie hatten keine Einnahmen über drei Wochen. Die Bäcker durften nur für die Franzosen backen.
H. Remmel beschreibt, wie bereits 1806 französische Truppen bei der Verfolgung von Blüchers Preußen in Pinnow-Petersberg einrückten und die verbliebenen Einwohner aus den Häusern auf die Felder vertrieben. 1807 waren die beiden Dörfer weitgehend ausgeplündert.
Im Zuge der Verfolgung von Blüchers Truppen gab es überall in Mecklenburg viel Leid und Unglück für die Bevölkerung. Über die Einquartierungen wird berichtet, dass in und um die Wohnungen und den Häusern gelagert wurde, über Nacht Schafe, Gänse, Enten, Hühner geschlachtet und geplündert wurden. Danach haben sie alles entzweigeschlagen, Gartenzäune, Geländer und Scheunentore verwendeten sie als Biwak-Brennmaterial. Ernst Moritz Arndt berichtet gar, dass Nichten des Generals Blücher zur Schändung aufgegeben waren, diese aber vorher flüchten konnten.
Auch durch das ostmecklenburgische Dargun zogen die Franzosen nach ihrer gewonnenen Schlacht bei Jena und Auerstedt mit 10 000 Mann schwerer Reiterei. Am Ortseingang angebrachte Schilder mit der Aufschrift „pays neutre“ (neutrales Land) amüsierten sie eher. Dem dort amtierenden Pastor Hempel wurde gleich sein Pferd genommen. Doch nicht nur das, nachfolgende Soldaten plünderten die Kirchenkassen. Seine Uhr, das Silberzeug und alles, was Wert hatte, wurde ihm gestohlen. Wer sich der Plünderung widersetzte und Geld oder Silberzeug nicht sofort hergeben wollte, erhielt Hiebe, so Pastor Hempel. Auch den Kaufleuten erging es nicht besser. Dem Kaufmann Dolberg leerten sie den Laden und zerschlugen anschließend die Einrichtung. Besonders abgesehen hatten sie es auf die geistigen Getränke und ließen sie nach übermäßigem Genuss in den Sand laufen.
Aus den Kirchenbüchern dieser Zeit erfährt man ebenfalls viel über die Zustände beim Einmarsch französischer Truppen in die Ortschaften. So wird z.B. aus dem bereits erwähnten Belitz berichtet, dass „Chasseurs“ in die Gegend kamen und die Leute unter „erschröcklichsten“ Misshandlungen ihres Geldes und ihrer Wertgegenstände beraubt wurden. Am Neujahrstage waren Diebe in die Kirche eingedrungen und stahlen die samtenen Umhänge. Sogar die Grabstätten blieben nicht verschont. Im Kirchenbuch von Zittow wird erwähnt, dass am 14.11.1806 ein Zweijähriger bei der Gelegenheit der französischen Einquartierung in einen Kessel mit kochendem Essen gefallen ist. In Woldegk starb am 9.10.1807 ein Schneidermeister. Er wurde gleich nach Ankunft der Franzosen durch Schläge und Kolbenstöße misshandelt. An den Folgen kränkelte er und starb wohl daran.
Hierzu abschließend die Beschreibung des Nestors der modernen Landesgeschichtsschreibung, Otto Vitense, aus dem Jahr 1912: Überall begann jetzt wieder das Plündern, Rauben und Brennen durch französische Truppen. Hab und Gut wurde den Bewohnern genommen und sie oft von Haus und Hof gejagt. Sie wurden barbarisch misshandelt, wenn kein Geständnis über verborgene Schätze zu bekommen war. Es war nach dem 30jährigen Krieg die schlimmste Zeit für Mecklenburg.
Aber auch die Franzosen blieben nicht ungeschoren. Als sie 1807 die ca. 70km von Dargun entfernte schwedische Festung belagerten, geschah das mit vielen Verlusten. Bis zu 1500 Verwundete sollen in das zum Lazarett umfunktionierte Schloss bei Dargun gebracht worden sein. 600 verstarben und wurden in einem Waldstück beigesetzt. Dieser Ort heißt bis heute noch „Franzosenschneise“. Im Sterberegister des Kirchenbuchs von Gnoien ist vermerkt, dass ein Louis Verotin, geb. 1784, am 11.7.1807 „an seinen Wunden“ verstorben ist. Ein Paul Brun, geb. 1787, verstarb am 13.10.1807 am „hitzigen Fieber“.
Aber nicht nur unter der direkten Gewalt der Invasionstruppen litt die Bevölkerung. Auch die Maßnahmen der Besatzungsmacht wie Steuern und Abgaben stießen die Bevölkerung in Not und Elend. Die Kontinentalsperre, von den französischen Behörden rigide angewendet, ruinierte viele Bürger. Durch die entstandene Armut wuchs auch die Kriminalität. Diebstahl, Raub und Mord gehörte zu den „Geschäftsfeldern“ fest organisierter Banden. Zu den gefürchtetsten gehörte die des Heinrich Mehl und Samuel Moses. Eines der Hauptquartiere waren Wirtshäuser wie z.B. der „Püsserkrug“ bei Schwerin.
Eigentlich wird die Zeit der Befreiungskriege von der napoleonischen Herrschaft mit den Jahren 1813/14 angegeben. Doch schon mit dem Rückzug der Truppen Napoleons vom Russlandfeldzug 1812 ergaben sich erste Anzeichen des Niedergangs der französischen Armee und ihrer (Zwangs-) Verbündeten. Als versprengte französische Offiziere in einem jämmerlichen Zustand aus Russland 1812 nach Lübeck kamen, regten sich hier erste Hoffnungsstrahlen. Man sah besseren Zeiten entgegen und hoffte auf die Befreiung. Ein Lied machte in der Bevölkerung die Runde:
„Es irrt durch Schnee und Wald umher
Das große mächt’ge Franzosenheer.
Speicher ohne Brot.
Allerorten Not,
Wagen ohne Rad,
Alles müd und matt.
Der Kaiser auf der Flucht,
Soldaten ohne Zucht.
Kranke ohne Wagen,
So hat sie Gott geschlagen.“
Auch Fritz Reuter beschreibt in seinem Roman „Ut de Franzosentid“ die Stimmung gegen die Franzosen recht drastisch. In der hochdeutschen Übertragung liest es sich so:
„Aufstand gegen den Menschenschlächter! Das war das Feldgeschrei. Nicht ein Haufen unbedeutender junger Leute, nicht der Janhagel der Straße begann damit, nein, die Besten und Vernünftigsten traten zusammen, nicht zu einer Verschwörung mit Messer und Gift, nein, zu einer Verbrüderung mit Wehr und Wort gegen angetane Gewalt.“
Mitte des Jahres 1813 erfolgte der Rauswurf der Franzosen aus Mecklenburg. Teils zogen die Franzosen freiwillig ab, teils gab es immer wieder kleinere oder größere Scharmützel von französischen Einheiten mit den verbündeten preußisch-russisch-englisch- und schwedischen Verbänden. Doch nicht nur reguläre Einheiten traten in Aktion. In fast allen Orten in Mecklenburg bildeten sich freiwillige Verbände aus Bauern, Knechten, Handwerkern und Bürgern, die noch nie eine militärische Ausbildung genossen hatten. Mit teilweise abenteuerlichen „Waffen“ wie Mistgabeln, Piken oder anderen zweckentfremdeten Geräten zogen sie unter der Führung selbsternannter Befehlshaber los, um vermutete Franzosen aufzuspüren und zu bekämpfen. Es wurden häufig auf Gerüchte hin „Kampfaktionen“ gestartet oder Schrecken verbreitet. So soll z.B. am 10. April 1813 in der Gegend um Röbel ein starkes französisches Korps gesichtet worden sein, das Rache an der Bevölkerung nehmen wollte. In Wahrheit hatten sich einige gefangene Franzosen auf dem Transport nach Berlin befreit und sich in mehreren Dörfern in der Prignitz an Bewohnern vergriffen. Zwar wurde kein Franzose ergriffen, diese Nachricht stärkte aber die Kampfeslust und die Entschlossenheit der wehrhaften Männer.
Legendär war das Gefecht im niedersächsischen Göhrde, nahe Dömitz, am 16.09.1813. Dort wurden 2/3 der französischen Truppe vernichtet und die Verbindungslinie zwischen den Franzosen in Hamburg und der Hauptarmee Napoleons in Sachsen durchtrennt. Berühmt wurde hier die Freiheitskämpferin Eleonore Prochaske, die sich als Mann getarnt dem Lützowschen Freikorps angeschlossen hatte und in dieser Schlacht tödlich verwundet wurde.
Auch der Dichter und Freiheitskämpfer Theodor Körner, geboren am 30.09.1791 in Dresden, ist ein prominentes Beispiel für den Widerstand gegen die Franzosen in Mecklenburg. Zwar hat er nicht an den entscheidenden Schlachten zur Vertreibung der napoleonischen Truppen aus Mecklenburg teilgenommen, durch sein Beispiel für den Einsatz in der Sache und durch seine poetischen Werke ist er in der Befreiungsbewegung zu einem leuchtenden Vorbild geworden und hat im Bewusstsein der Bevölkerung einen hervorragenden Platz im Gedenken an ihn erhalten.
Körner gab seine gesicherte Stellung in Wien und seine Verlobung auf, um sich im März 1813 dem Lützowschen Freicorps anzuschließen. Nach einigen Verletzungen und Zügen quer durch Deutschland gelangte er wieder zu seiner Einheit, die sich im Sommer 1813 in Mecklenburg befand. Es gab hier keine großen kriegerischen Auseinandersetzungen, meist waren es Streif- und Beutezüge gegen den feindlichen Nachschub. Am 25. August wird Körner bei einem dieser Überfälle im Forst Rosenow zwischen Gadebusch und Schwerin im Alter von nur 22 Jahren tödlich von einer Kugel getroffen. In der Nähe der Ortschaft Wöbbelin bei Ludwigslust wird er mit militärischen Ehren begraben. Nicht weit seines Todesortes bei der Ortschaft Lützow ist eine Gedenkstätte mit Obelisk und Schautafeln zu besichtigen.
Die Fakten des historischen Geschehens während der sogenannten „Franzosenzeit“ in Mecklenburg sind belegt oder entspringen zumindest der dichterischen Freiheit Fritz Reuters in seinem Roman ‚Ut de Franzosentid‘. Der genaue Ursprung und die Entstehung der Sage vom „Wilden Franzosen“ kann und soll auch nicht in einer wissenschaftlichen Untersuchung erforscht werden. Diese Sage ist das Ergebnis der historischen Ereignisse jener Zeit, der herrschenden sozialen Verhältnisse und der damaligen Kommunikationsmöglichkeiten.
Einmal aufgekommen, weitererzählt, ausgeschmückt, dramatisiert und mit uralten Versatzstücken versehen, ist diese Geschichte von Generation zu Generation mündlich überliefert worden. Sie stellt ein Beispiel der Volkskultur dar, das dem Vergessen preisgegeben wäre, wenn nicht einige ehrenamtlich tätige Idealisten durch Erfragen, Erforschen alter Quellen und Aufschreiben dieses wertvolle Zeugnis der Heimatkultur bewahren würden.
Der Kulturverein Sagenland Mecklenburg-Vorpommern hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese alten Geschichten nicht nur aufzuschreiben, sondern sie in verschiedenster Form in unserer Heimat zu verbreiten und bei Einheimischen und Besuchern lebendig zu halten.
Die Sage vom „Wilden Franzosen“ ist Teil des Wanderpfades ‚Niklot-Pfad‘, auf dem viele Sagen durch Tafeln und Findlinge örtlich markiert sind und so dem Ziel dienen, Einheimischen und Touristen diesen Teil der heimatlichen Kultur näher zu bringen, regionale Identität herzustellen, Heimatwissen zu vermitteln und Sympathie für das Land um den Schweriner See zu erzeugen.
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Albrecht, Edmund |
Aus Mecklenburgs Franzosenzeit Schwerin 1937 |
Decker, Will |
In: Mecklenburgische Monatshefte Bd. 4, 1928 |
Dettmann, Lutz |
In: Heimathefte für Mecklenburg und Vorpommern, Bd. 10, 2000 |
Falkenberg, Heinz |
Über die Franzosen 1806/13 um Hohen Viecheln (Hier aufgeführt werden auch andere Autoren: Bennöhr, Emil und Brasch, Friedrich) |
Gräfe, Gerald |
Warum Napoleon in Dargun nicht beliebt war… In: Nordkurier 9.2.2015, S. 24 |
Hoppe, K.D.; Menz, Cornelia; Weiß, Detlef |
Franzosenzeit in Mecklenburg, Rostock 2007 |
Jäger, Hans-Wolf |
‚Körner, Theodor‘ in: Neue Deutsche Biographie 12/1979 |
John, Anke |
In: Napoleons langer Schatten über Europa, 2010 |
Keubke, Klaus-Ulrich |
Die Mecklenburger in den Napoleonischen Kriegen 1806-1815, Schwerin 2011 |
Kundt, E. |
In: Mecklenburg Magazin 16/2002 |
Manke, Matthias, Münch, Ernst Hrsg. |
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Remmel, Herbert |
In: Mecklenburg Magazin 18/2007 |
Reuter, Fritz (dtsch. Übertragung: Meyer-Scharffenberg, Fritz) |
Die Franzosengeschichte, Rostock 1964 |
Roßmann, Rolf |
In: Mecklenburg Magazin 2013, S. 127 |
Vitense, Otto |
In: Mein Vaterland Bd. 1 1913/14 |
Vitense, Otto |
Mecklenburg und die Mecklenburger in der großen Zeit der deutschen Befreiungskriege 1813-1815, Neubrandenburg 1913 |
www.planet-wissen.de Europa Ende des 18. Und Anfang des 19. Jahrhunderts
www.8eme.de Lübeck in der Franzosenzeit 1806 -1813
Alle Bilder aus Wikipedia Creative Common oder eigene Fotografien
Dieter Gonsch
Vun witt Fruggens unn swart Häuhners
Ein Beitrag unseres verstorbenen Ehrenmitgliedes Dr. Eckart Bomke zur Deutung einiger vom Kulturverein Sagenland mit Findlingen und Texttafeln markierten Sagen. Bearbeitet von Dieter Gonsch.
Das Schweriner Seengebiet ist überreich mit Ort- und Heimatsagen bestückt.
Intensive Besiedlung, sich kreuzende Handelswege und auch die Herausbildung von Heerstraßen mögen zur Entstehung beigetragen haben. Damit im Zusammenhang stehen besondere Ereignisse oder auch ungewöhnliche Erscheinungen sowie gesellschaftliche Konflikte, die die Menschen verwirrten und so phantasievolle Deutungen erfuhren.
Sie blieben im Volksmund erhalten, bzw. wurden weitererzählt („weitergesagt).
So haben alle Sagen einen Bezug zur historischen Wirklichkeit. Es gab irgendwann ein auslösendes folgenschweres Ereignis, das Probleme auslöste. Man sah Angst und Schrecken auf sich zukommen. Die Furcht vor dem „Leibhaftigem“ oder vor einer anderen Himmelsgewalt verunsicherte. Um darüber hinweg zu kommen, hofften unsere Vorfahren auf überirdischen Beistand. Die Sagen klingen meist mit einem unwirklichen Vorgang aus oder nehmen einen phantastischen Verlauf.
Ein Beispiel dafür ist die Sage vom Lindwurm.
Wenn das Eis des Schweriner Sees bei Tauwetter geräuschvoll barst und spaltige Rinnen warf, sagte der Volksmund auf plattdeutsch „door smitt sik de bost“. Und der damalige Beobachter wollte in der lang gestreckten, sich bewegenden Eisrinne den gefürchteten Lindwurm erkannt haben. Weit abseits, in gemiedenen Gebieten wie auf Kaninchenwerder wurde dann die Behausung des Untiers vermutet.
Ausgesprochene Phantasie begleitete die Menschen des Mittelalters. In diesem Sinne ist auch die Deutung der Sage „Die Frau als Hase“ zu suchen. Einbildung, phantastische Vorstellungen verleiteten die Menschen von früher in dem Hasen eine verwandelte Frau zu sehen und nicht das, was der Hase wirklich war, nämlich ein sein Junges suchendes Muttertier. Das ist natürlich eine Annahme, aber eine realistische. Dabei gilt es festzustellen, dass die Neigung der Menschen zu phantasievoller Deutung von Vorkommnissen oder Erscheinungen bis heute anhält. Davon leben ganze Wirtschaftszweige, wenn man sich mal die Auto- oder Kosmetikwerbung vor Augen führt.
Nicht viel anders ist es mit der Sage „Der vergessene Hund“. Das Gejaule eines Hundes kann manchmal erbärmlich klingen. Dieses fälschlicherweise auf das verlassene Gutshaus zu übertragen, ist leicht vorstellbar. Wer hat nicht schon selbst eine Vermutung ausgesprochen, die sich später als völlig irrig erwies.
Verbreitet im Lande, ja in der ganzen Menschheit, ist der Sinn für Gerechtigkeit. Deren Verletzung hat die Menschen immer schon bewegt, zumal sie schicksalhaft die Menschen seit Urzeiten begleitet hat, vielleicht in unterschiedlicher Ausprägung, je nach Zeitepoche. Im Mittelalter galt die Herrschaft des (land-)besitzenden Adels und die Rechtlosigkeit großer Teile der Landbevölkerung. Ihr war es verwehrt, Gerechtigkeit einzuklagen. Also suchte man die Gerechtigkeit in zufälligen Ereignissen. Wenn dem unerbittlichen Gutsherrn ein Missgeschick passierte oder dieser verunglückte, wurde dahinter die Strafe Gottes vermutet, der auf diese oder andere Weise für Gerechtigkeit sorgen würde. So im Falle der Sagen vom „Gutsherrn als Leichenfledderer“ oder „Die Glocken von Zittow“. Oder von dem Gutsherrn, dem ein Übel geschieht, als er beim Erheben der Peitsche auf dem Wagen gegen den Kutscher gerichtet, elend zusammenbricht.
Bezeichnenderweise entstanden solche Sagen nur in Gutsdörfern, so auch im Umfeld von Leezen wie in Langen Brütz (De olle Herr von Pressentin), in Kritzow, in Müsselmow und vielen anderen. In Bauerndörfern hat sich diese Gruppe von Sagen verständlicher Weise nicht herausgebildet. Das gilt für die Dörfer der Lewitz, alles Bauerndörfer, bei denen gelegentlich der geschundene Knecht als „Heldenfigur“ vorkommt.
Eine weitere Gruppe von Sagen hat die Gottesfurcht oder den Schutz vor dem Teufel zum Inhalt. Mit dem entgegen gehaltenen Kreuz vertrieb der Schäfer den Teufel -als schwarzer Widder getarnt- aus dem Stall und blieb fortan unangetastet, so in der Sage „Der Schäfer mit dem Teufelsfell“ beschrieben.
Die Sagen, die kirchliche Geschehen aufgreifen, beschränken sich nicht nur auf den Widerstand gegen den „Leibhaftigen“, sondern erfassen den gesamten Wirkungsbereich der Kirche. Hier muss man den Blick auf Uralt-Zeiten zurückwerfen. Einige Pfarrer umgaben sich damals mit dem Nimbus des Geheimnisvollen, des Göttlichen, des Unerreichbaren und benutzten die Furcht vor überirdischer Gewalt und das Wachhalten eines gewissen Aberglaubens, um Untertänigkeit und Respekt vor den Amtsträgern zu bewirken. Ebenso gab es den standhaften Pastor, der dem Teufel „eins auswischte“.
Alle diese Sagen sind durch Sagensteine (Findlinge) und Texttafeln gekennzeichnet und sprechen für sich.
Von „De Fruggens und de Häuhners“ war nicht viel die Rede, von „witt unn swart“ ook nich väl, öwer lat man…, dat kunn manchmal noch n Naaschlach gäben…
Die Pinnower Lindwurmsage
"Vor langer Zeit lag auf dem Lindhörn am Pinnower See ein Lindwurm...."
So beginnt die Pinnower Lindwurmsage, sowohl bei Burghard Keuthe in: Sagen des Landkreises Parchim, Teil II, 1997, als auch bei Erika und Jürgen Borchardt in: Zwei Kahnschnecken voller Gold - Sagen-Geschichten aus Pinnow, Godern und Raben Steinfeld
Die Lindwurmsagen (nicht zu verwechseln mit den Drachensagen) zählen wohl zu den ältesten und im deutschen Sprachraum am weitesten verbreiteten Sagen. In Mecklenburg, wie überhaupt in Norddeutschland, kommen sie jedoch recht spärlich vor. von den 402 Sagen, die B. Keuthez.B. alleine für die Regionen Brüel, Crivitz und Sternberg auflistet, erzählen ledigich vier vom Lindwurm.
Die Pinnower Lindwurmsage bezieht sich auf den Flurnamen "Lindhörn" am Westufer des Pinnower Sees und ist untrennbar mit dem Flurnamen verbunden. Eine weitere Wortkombination oder gar einen weiteren Flurnamen mit dem Wortelement "lind" gibt es weder auf der Pinnower Gemarkung noch auf den südlichen Nachbargemarkungen.
Der Grundstock Pinnower Flurnamen gründet auf Auszügen aus domanialen Vermessungsakten von 1701 "betreffend Pinnow und die Vogtei Rabensteinfeld" (damals noch zusammengeschrieben). Diese Flurnamen sind die ältesten uns überlieferten Namen. Unter den 21 dort genannten Flurnamen taucht "Lindhörn" nicht auf.
Die Karte von Schmettau 1788 ergänzt die Liste der Flurnamen um weitere neun Namen, "Lindhörn" findet sich auch hier nicht.
Etwa um 1928 rief der Heimatbund Mecklenburg zu einer Flurnamen-Sammelaktion im ganzen Land auf, der besonders Dorflehrer folgten. Lehrer Peters in Pinnow hatte in Fischer Martens aus Godern einen erstklassigen Gewährsmann, der ihm 22 Flurnamen nannte, darunter solche wie Pfeffermünzborn, Petermännchen-Berg, Schultengang, Brutkist, Tochin und - nun auch Lindhörn.
Einen großen Teil von Fischer Martens genannten Flurnamen müssen wir einordnen in Flurnamen jüngeren Datums etwa von 1870 bis 1928. Der Flurname Schultengang etwa für den Verbindungsweg Pinnow-Petersberg konnte erst geprägt werden, nachdem Petersberg 1871 nach Pinnow eingemeindet worden war.
Ein weiterer Teil von Fischer Martens genannten Flurnamen betraf dessen berufliche Tätigkeit als Fischer auf dem Pinnower See. Fischer Martens ist kurz nach seiner Befragung zu den Flurnamen, etwa um 1928, über 70jährig verstorben. Er wird folglich noch Zeit- und Ohrenzeuge etwa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewesen sein und hat folglich den Wortschatz seiner Vorgänger-Fischer tradiert, die uns als Fischer Hollien und Fischer Adam bekannt sind - allemal Plattsnackers, die kein Wort Hochdeutsch sprechen konnten.
Die meisten von den Pinnower bzw. Goderner Fischern geprägten Flurnamen bezeichnen Orte im oder am See, die mit dem Fischfang auf dem Pinnower See zu tun hatten: "Brutkist" etwa war ein wohl bemerkenswerter Laichplatz. "Tochin" ist eine tiefe Stelle am Südende des Sees, die besonders gut mit dem Zugnetz zu befischen war. Das Mittelniederdeutsche Wort "toch" bedeutet "zug". Das t wurde während der zweiten Germanischen Lautverschiebung zum hochdeutschen z, während das Niederdeutsche von dieser Lautverschiebung nicht erfasst wurde und das anlautende t bebehielt.
Dort (am Tochin) "is dat heil deip" sagt der Pinnower Fischermund, "Dor hebben´s mennig feinen Brassentog makt." (Brassentog = Brassenzug = mit dem Zugnetz gefischte Brassen/Bleie)
Nun zu unserem Lindwurm auf dem Lindhörn:
Wettermäßig herrscht in unserer Region vornehmlich eine West, Nord-West Wetterlage. Und wer den Pinnower See kennt und bei steifem Nordwest auf ihm mal Angeln oder mit der Liebsten Segeln war, der weiß, wie ungemütlich das werden kann.
Der Autor jedenfalls hat sich dann schwer rudernd zum Lindhörn am westlichen Ufer des Sees geflüchtet, wo es große Barsche gab und wo man geschützt und gemütlich die Angel auswerfen konnte, während oben der Nordwest die Buchen schüttelte. An dieser Stelle, am Steinernen Tisch, wo ein kleiner Sporn/Landspitze/Ecke/Winkel - im Niederdeutschen Hörn genannt - in den See ragt, konnten auch die Fischer ihr Boot festmachen und mit dem Schwimmnetz auf Fang gehen, ohne dass der Wind am Ankerau zerrte - und sie nannten diese geschützte Stelle "Lindhörn". Das aus dem Mitteldeutschen stammende und im Niederdeutschen erhaltene "lind" bedeutet: weich, zart, nachgiebig, gütig, freundlich.
Und wenn diese kleine Hörn oder Landspitze vor Wind und Wetter schützt, dann ist das eine freundliche, sanfte, eine schützende Lindhörn. Und irgendjemand zu Anfang des 20. Jahrhunderts hat dieses "lind" mangels besseren Wissens mit dem Lindwurm assoziiert und die eigentlich nichtssagende und ahistorische Sage erfunden, des Lindwurms wegen, der hier gar nichts zu suchen hat.
Übrigens schreiben die Gebrüder Grimm über das "lind", wie es noch im Lindwurm enthalten ist:"...das wort ist im 17. jahrh. vergessen; später, und unter einflusz der kenntnis altdeutscher gedichte wird es in poetischer Sprache wieder aufgenommen, anfangs ohne rechtes verständnis der eigentlichen bedeutung..."(Gebrüder Grimm: Wörterbuch).
Herbert Remmel